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08.09.22 –
Vorgang: DS/0231/IX
Die Bezirksverordnetenversammlung wolle beschließen:
Das Bezirksamt wird aufgefordert ein bezirkliches Entsiegelungskonzept, inklusive eines Regenwassermanagements zu erstellen, um somit dringend notwendige Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen der Klimakrise in die Wege zu leiten. Damit trägt das Bezirksamt der Anerkennung der Klimanotlage durch den Berliner Senat vom 10. Dezember 2019 Rechnung.
Das übergeordnete Ziel dieses Entsiegelungskonzepts und des Regenwassermanagements ist die Entwicklung unseres Bezirks zur „Schwammstadt“ durch den Ausbau von Regenwasser-Versickerungsflächen und Maßnahmen zum Speichern und Nutzen von Regenwasser vor Ort. Die anschließende Begrünung der entsiegelten Flächen soll nicht nur den Erhalt und die Ausweitung des Straßengrüns bewirken, sondern vor allem die Bindung von CO2 und Wasser sicherstellen, Abkühlung ermöglichen und unsere Klimaresilienz verstärken.
Das Konzept soll aufzeigen, wieviele Flächen versiegelt sind, wo sie sich befinden und wer Eigentümer*in ist, Gebiete identifizieren, in denen eine Entsiegelung besonders geboten ist, konkrete Entsiegelungspotenziale aufzeigen und einen ersten zeitlichen Horizont zur Realisierung bzw. eine Priorisierung der geplanten Maßnahmen enthalten. Außerdem soll das Konzept eine langfristige Zielmarke für die Entsiegelung im Bezirk formulieren. Mit Hilfe des Entsiegelungskonzeptes soll der Bezirk die sogenannte Netto-Null-Versiegelung erreichen.
Die Entwicklung des Entsiegelungskonzeptes soll in wissenschaftlicher Begleitung erfolgen. Die Ergebnisse und Fortschritte der identifizierten Maßnahmen sollen in einem jährlichen Rechenschaftsbericht dokumentiert und der BVV vorgelegt werden. Es ist zu prüfen, ob Bürger*innen-Beteiligungsformate dort ermöglicht werden können, wo Entsiegelungsmaßnahmen das Wohnumfeld in besonderem Maße verändern. Die Programme und Finanzmittel des Senats zur Anpassung an den Klimawandel sollen in Anspruch genommen werden (bspw. „BEK-Förderprogramm zur Klimaanpassung“).
Für das Entsiegelungskonzept sollen insbesondere folgende Maßnahmen berücksichtigt werden:
1. In allen Fällen, in denen asphaltierte Straßen oder Straßen mit Betondecke saniert, umgebaut oder umgewidmet werden, soll stets die Möglichkeit einer Entsiegelung geprüft und nach Möglichkeit realisiert werden. Besonders Parkplätze am Straßenrand sollen dabei zum Teil durch Straßenbäume mit ausreichend großen Baumscheiben, Mikro-Parks oder Beete für Urban Gardening ersetzt werden.
2. Parkplätze oder Garagenanlagen, die sich auf öffentlichen Flächen befinden, sollen weitmöglichst entsiegelt, ökologisch gepflastert und begrünt werden, um als Vorzeigeprojekte private Eigentümer*innen von Parkplätzen zu motivieren, dem Beispiel zu folgen. Ein entsprechender Austausch zwischen Bezirk und privaten Eigentümer*innen (bspw. Supermärkten, Baumärkten oder Einrichtungshäusern) soll darauf aufbauend angestoßen werden.
3. Besonders in Straßen mit nachweislichem Wärmeinseleffekt soll der Straßenbelag durch ökologische, durchlässige Pflasterung (z. B. Verbundsteine mit Grünaussparung) ersetzt werden. Die Verfügbarkeit von sicheren Rad- und barrierefreien Fußwegen muss dabei natürlich gewährleistet bleiben.
4. Breite Straßen sollen durch Verdunstungsbeete bzw. bepflanzte Regen-Versickerungsflächen zwischen Straße und Bürgersteig abflusslos werden. Unter Umständen muss durch ein Tempolimit der Reifenabrieb reduziert werden und Filter eingebaut werden, so dass Regenwasser gefahrlos in die Vegetation und ins Grundwasser gelangen kann. Hierbei sollten möglichst wenig aufwändige, skalierbare Maßnahmen entwickelt werden.
5. Eine Vergrößerung der Baumscheiben soll dort erfolgen, wo es möglich ist. Dies kann mit einer einfachen Umfassung erfolgen, welche die Begrünung durch Anwohner*innen oder durch den Bezirk ermöglicht und dazu führt, dass vor allem in Hitzeperioden weniger gegossen werden muss. Im Falle starker Verdichtung durch z. B. Fußgänger*innen sollen Alternativen geprüft werden z.B. poröses, wasserspeicherndes Vulkangestein. Bei neu anzulegenden Baumscheiben ist auf eine ausreichende Dimensionierung zu achten.
Über den Stand der Entwicklung des Entsiegelungskonzeptes ist der BVV halbjährlich zu berichten.
Begründung:
Der Klimawandel machte sich in den letzten Jahren in Berlin vor allem in Form von zu heißen und trockenen Frühjahrs- und Sommermonaten, niederschlagsarmen bzw. schneefreien Wintermonaten sowie wiederkehrender Starkregenereignisse bemerkbar. Besonders starke Hitze beeinträchtigt die Lebensqualität vieler Bürger*innen und führt zu einer erhöhten Sterblichkeit der älteren Bevölkerung. Zudem gerät das städtische Grün unter erheblichen Trockenheitsstress, der nicht durch vereinzelte Starkregenereignisse ausgeglichen werden kann. Starkregen führt andererseits zu wiederkehrenden Überschwemmungen. Diese schädigen die städtische Infrastruktur und mindern die Wasserqualität, wenn über Mischwasserüberläufe verunreinigtes Wasser in die Oberflächengewässer gelangt. Die beschriebenen Effekte lassen sich wesentlich auf eine zu intensive Oberflächenversiegelung zurückführen. Laut „Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm 2030“ kann dem entgegengewirkt werden, indem Flächen entsiegelt werden.
Eine systematische Entsiegelung öffentlicher und privater Flächen bringt folgenden Nutzen:
1. Auf unversiegelten Flächen kann Niederschlagswasser versickern. Da es nicht mehr in die Kanalisation abfließt, sinkt die Gefahr von Überschwemmungen,Infrastrukturschäden und Gewässerverunreinigungen.
2. Das vom Erdreich aufgenommene Regenwasser steht städtischer Vegetation zur Verfügung und mindert Trockenheitsstress. Zusätzlich bildet sich neues Grundwasser (Schwammstadt-Prinzip).
3. Zusätzliche Vegetation auf neu entsiegelten Flächen (z. B. Straßenbäume) sorgt für Abkühlung im Sommer. Das verbesserte Mikroklima liegt sowohl am Schatten als auch an kühlender Verdunstung und der Filterung von Schadstoffen aus der Luft. Nötig ist dies vor allem in Straßen ohne Straßenbäume oder mit noch sehr jungen Straßenbäumen.
4. In Teilen des Bezirks besteht ein erhebliches Defizit an öffentlichem und privatem Grün. Dies betrifft z.B. Teile des Weitlingkiezes, des Kaskelkiezes, sowie Teile von Karlshorst, Alt-Lichtenbergs und Alt-Hohenschönhausens. Zusätzliches Stadtgrün auf entsiegelten Flächen verbessert die Lebensqualität der Bürger* innen.
5. Trotz der zunächst anfallenden Kosten für konkrete Entsiegelungsmaßnahmen wird der städtische Haushalt mittel- bis langfristig entlastet. Dies begründet sich mit geringeren Infrastrukturschäden durch Überschwemmungen, geringeren Bewässerungskosten für das städtische Grün, reduzierte hitzebedingte Gesundheitsschäden der Einwohner*innen oder weiteren Folgeschäden an Menschen, Flora und Fauna.
Folgerichtig wird sowohl im „Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm 2030“ als auch im „Berliner Programm für nachhaltige Entwicklung“ auf den Nutzen konsequenter Entsiegelung hingewiesen. Laut „BEK-Förderprogramm zur Klimaanpassung“ sind die Entsiegelung von Brachflächen sowie dezentrale Maßnahmen zur Regenwasserbewirtschaftung explizit förderfähig. Einem Rechtsgutachten von Agora Verkehrswende zufolge („Öffentlicher Raum ist mehr wert“, Dezember 2018, S. 54) haben Gerichte zum Berliner Straßengesetz die Berücksichtigung des Klimaschutzes bei straßenbezogenen Belangen ausdrücklich gebilligt. (OVG Berlin, Beschl. v. 16.8.2000, OVG 1 S 5.00; VG Berlin, Beschl. v. 23.1.2009, 1 A 358.08., OVG Berlin-Brandenburg, Urt. V. 3.11.2011, OVG 1 B 65,10.) Die Stadt Amsterdam hat im August 2019 beschlossen, innerhalb von fünf Jahren 11.000 Parkplätze umzuwidmen. Das kann Berlin auch und Lichtenberg sollte seinen Teil dazu beitragen. Es ist Zeit, dass der Bezirk im Rahmen der städtischen Klimaanpassung mit einem Entsiegelungskonzept reagiert.
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